„Wie groß die Freiheit, die es nur hier gab, in ihrem Land, wo Leben und Tod nah beieinander standen, Schönheit und Grausamkeit, und der Schmerz darüber, weil er spürbar blieb, eine so lebendige Kraft entfalten konnte.”
Nadja muss die Freiheit ihres Heimatlandes Russland mit ihrem Mann Anton zurücklassen, um ausgerechnet nach Nazideutschland umzusiedeln. Für diese Frau, die sich als „russisches Revuemädchen” sah und ihren „Walrossbart-Diktator” ins Herz geschlossen hatte, ist das eine katastrophale Perspektive. Ihrem Mann wird sie den Verrat ihrer Ideale nie vergeben. Während Anton eine Stelle als Horoskop-Schreiber findet, hängt Nadja ihre Bühnenkarriere an den Nagel und spinnt sich ein, bis sie mit einem ehemaligen Kollegen Antons Kontakt aufnimmt. Als Samuel ihretwegen nach Deutschland zurückkehren will, gerät Anton in Panik. Eine Generation später: Senta, Nadjas nun erwachsene Tochter, steht 1967 am Grenzübergang Friedrichstraße. Sie muss eine Entscheidung treffen: Ihr geliebter Gregor will in die DDR, und zwar für immer. Die Revolution bedeutet ihm mehr als die Liebe, „dieses scheinheilige Pflaster des Konsums”. Senta entscheidet sich, obwohl sie bereits schwanger ist, in Westberlin zu bleiben, und heiratet nach kurzer Zeit auch Gregors besten Freund, den sie über die Vaterschaft ihres Kindes täuscht. Einige Kinder und Jahrzehnte später erhält Senta eine Nachricht von Gregor aus dem Gefängnis. Er hofft auf Fluchthilfe. Es ist 1989. Erst in der dritten Generation verheilen die Wunden, die durch Nadjas Emigration aus Moskau aufbrachen.
Diese komplexe, dreifache Ost-West-Geschichte, diese dreifache Suche ihrer Figuren nach Heimat, nach Wurzeln und nach sich selbst erzählt Larissa Boehning in einer musikalischen, biegsamen Sprache, so leuchtend, als sei diese mit Goldfäden durchzogen.
Boehning wurde für ihren Debütroman „Lichte Stoffe” 2007 mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet. Nach einiger Zeit in Spanien lebt die 1971 geborene Autorin mit ihrer Familie als Grafikerin, Dozentin und freie Schriftstellerin in Berlin.
Eintritt frei! Anmeldung bis 8. September unter Tel. 040-22 70 20 14.
Beginn: 17 Uhr